Alleinstellungsmerkmale

Kalundborg war zu Anfang seiner Geschichte wirklich eine Burg. Man kennt sogar das Gründungsjahr und die Namen der Gründer. Die Burg lag, wie auch die Stadt heute, am landseitigen Ende eines Fjords, der von zwei Halbinseln eingefasst ist, Asnæs und Røsnæs. Røsnæs kennt der Segler in der Regel aus den Stationsmeldungen des Wetterberichts, Asnæs in der Regel gar nicht. Der Fjord ist etwa 4 Seemeilen tief, trichterförmig und nach Westen offen. Aus diesem Grund wird Seglern geraten, den Fjord rechtzeitig zu verlassen, wenn Starkwind aus Westen angesagt ist. Andernfalls kann der Aufenthalt in Kalundborg etwas länger werden. Warum man im 13. Jhdt. eine Burg 4 Meilen vom Belt entfernt gebaut hat, erschließt sich dem Laien in Sachen mittelalterlichen Festungsbaus nicht. Aber vielleicht ging es ja gar nicht um den Belt?

Jedenfall hat sich um die Burg eine Stadt gebildet. Und in der steht noch manche Bausubstanz aus dem Mittelalter. Freundlicherweise oft mit den hierzulande beliebten Schildern erklärt. Bischoffspalast, nach der Reformation in vier Wohnungen aufgeteilt. Rathaus mit Gefängnis. Eines der ältesten Häuser Dänemarks, erst Privathaus, später Krankenhaus, heute nur für besondere Veranstaltungen genutzt, da es weder Licht noch Heizung gibt. (Wie das in einem Krankenhaus ohne Licht und Heizung wohl zugeht?)

Der interessanteste Teil der Altstadt ist aber zweifelsohne die romanische Marienkirche alias Frauenkirche alias Vor Frue Kirke, die in ihrer Form wohl ziemlich einmalig ist: Ein gleicharmiges „griechisches“ Kreuz als Grundriss, ein großer Turm in der Mitte und vier kleinere in den vier Haupthimmelsrichtungen (Vierungsturm nicht, weil es keine Vierung gibt). Irgendwo da drin auch noch ein Kirchenschiff, das aber neben den Türmen fast untergeht. Hinein sind wir auch nicht gekommen, die Tür ging nicht auf. Unten und in Höhe des Schlosses schon, oben saß sie aber fest. Wir wollten nicht unbedingt als die Kirchenaufbrecher von Kalundborg in die Geschichte eingehen und haben daher von Gewaltanwendung abgesehen.

Warum die mittelalterlichen Baumeister/Architekten sich zu dieser sonderbaren Form entschieden haben, darüber gibt es verschiedene Erklärungen: Funktion als Festung (was ja z.B. für die Bornholmer Rundkirchen gilt), Abbild des himmlischen Jerusalems (was auch immer das sein soll) oder meine eigene: Man befand sich noch in einer Experimentierphase, was den Bau von Kirchen anging.

Die andere Besonderheit von Kalundborg erklärt vielleicht, warum älteren Leute (z.B. uns) der Name bekannt vorkommen könnte. Früher, oder damals, als Radios noch wie Radios aussahen und eine mehr oder minder beleuchtete Glasscheibe hatten, hinter denen ein Zeiger hin und her bewegt wurde, standen auf der Scheibe die Namen der Sender. So merkwürdige Namen wie „Motala“, „Beromünster“ oder „Kalundborg“. In Kalundborg steht immer noch ein Langwellensender. Ich hatte diese Technik eigentlich für längst ausgestorben gehalten. Es gibt sie aber doch noch. LW-Sender Kalundborg sendet ungefähr 3 Stunden am Tag mit 300 KW (300 000 W!) Sendeleistung. So können die Elemente der Schnittmenge der LW-Empfänger-Benutzer mit der Menge derer, die Dänisch verstehen, weltweit nicht nur informiert, sondern sogar mit Kochrezepten versehen werden. Wenn man bedenkt, das beide Mengen nicht sehr mächtig sind, sieht man, dass ganz schön viele Watt auf einen Nutzer kommen.

Die Masten sind übrigens von 1927 und sehen auch so aus. Aber wer will da rauf und streichen? Die Sendetechnik wurde schon mal ausgetauscht, bedarf aber immer noch einer kräftigen Kühlung. Das hört man auch. Und irgendwie macht die ganze Anlage einen musealen Eindruck. Aber sie läuft

und läuft

und läuft

und läuft

Amanda und die wilden Kerle

Amanda taucht hier zwar öfter auf, aber Amanda gibt es gar nicht. Weil, wenn man nachliest, wer Amanda war, kommt man drauf, dass Amanda Sophie hieß. Sophie/Amanda lebte Mitte des 19.Jahrhunderts, kam aus Kerteminde, ging nach Kopenhagen, um dort eine Schauspiel-Karriere zu starten und verlobte sich dortselbst mit einem „besseren Herren“. Leider hatte sie die blöde Idee, zusätzlich in Kopenhagen mit einem Kertemindener Jüngling zu flirten, was ihrer Verlobung und infolge dessen auch ihrer Schauspielkarriere nicht gut tat. Ansonsten wissen wir noch von Amanda ihren vollständigen bürgerlichen Namen und dass sie im Alter von 40 Jahren an einer nicht näher bekannten Krankheit starb. Also eigentlich nicht so sehr viel. Allerding hat diese recht banale Geschichte als Liedtext ins dänische Volkslied-Kulturgut gefunden, und so wurde Amanda eine Symbolfigur von Kerteminde und steht, so die Tourismuszentrale, für die schönen Frauen von Nord-Fünen und auch in Granit neben der Brücke, die die beiden Teile von Kerteminde verbindet.

Amanda in Granit


Ein örtlicher Segelverein heißt auch Amanda, obwohl es ja Amanda, wie gesagt, nicht gibt und auch nie gab.


Der Wind heult immer noch, die Boote schaukeln am Steg und wir haben den weiteren segelfreien Tag für einen Museumsbesuch in der Nähe genutzt. Der Ort heißt Ladby und wäre völlig bedeutungslos, hätte man dort nicht einen lokalen Fürsten aufwändig begraben, so um 930 n.Chr., als man mit Chr. hier noch nicht so viel am Hut hatte. Und aufwändig heißt hier: Mit kompletten funktionsfähigen Schiff, einer Menge toter Pferde, etliche Hunde und noch diverse Kleinigkeiten, die man als Wikingerkönig so braucht. Wenn man nach der Rekonstruktion geht, auch noch mit einem Korb Äpfeln. Das Ganze wurde dann mit einem Hügel überdeckt.


Nach wenigen Jahren wurde das Grab geplündert, nach vielen, nämlich etwa 1000, wiederentdeckt und dann in jüngster Zeit museal aufgearbeitet. Heute wächst um den Grabhügel ein So-lebten-die-Wikinger-Areal. Womit wir bei den wilden Kerlen sind. Die gibt es dort. Oder zumindest engagierte Mitmenschen, die dort wilde Kerle (und Deerns) mimen.
Vielleicht hätte Amanda da besser mitspielen sollen?!