Dabei fing alles ganz harmlos an. Auf der Parallelstrecke zur Sportbootautobahn durch die Schären vor Göteborg. Bisschen wenig Wind, und zwischdurch mussten wir schon mal unter Motor einem Todesstern (Stena-Line Fähre) ausweichen. Die kommen hier vor Götebborg so mit 17, 18 Knoten durch die Schären geschossen. Da ist es nicht so gut, wenn man in der Flaute im Fahrwasser dümpelt – außer lautem Hupen hat der Todesstern da nicht viel Reaktionsmöglichkeiten. Den X-Wing-Fighter (Schlauchboot) hatten wir schon aufs Mutterschiff (Martha) verladen.
Angedockt in Styrsö Bratten. Das schlaue Buch sagt, es sei mit etwas Schwell durch die Fähren zu rechnen. Die bittere Wahrheit: Es ist mit Dauerschwell durch rücksichtslose Motorbootfahrer zu rechnen, weil eine der Durchgangsruten der Südschären direkt am Hafen vorbei geht und kaum jemand den Hebel mal zurückzieht. Die Fähren fallen da kaum ins Gewicht.
Nach einer Stunde Gehüpfe Flucht und Suche nach einem Ankerplatz. Einen Platz im Hafen zu finden braucht man am Freitag Abend um diese Zeit gar nicht zu versuchen. Erster Platz: Anfahrt kompliziert, Besatzung uneinig, Stimmung schlecht, Ankerplatz überfüllt.
Zweiter Anlauf: Viel Platz, über 20 Ankerlieger, aber noch Platz für uns. Inzwischen völlige Windstille und nur wenige Motorboote. Dieser Platz liegt ganz im Süden, am äußersten Rand der Göteborger Schären.
Am nächsten Morgen: Das Nichts. Absolut kein Wind, das Wasser völlig bewegungslos. Die Kimm kaum zu erkennen. Eben das Nichts. Wir haben versucht, das Nichts zu fotografieren, auf dem Bild war nichts. Hinaus ins Nichts. Vorbei am Leuchtturm am Rande des Universums ins Nichts.
Inzwischen sind wir aus dem Nichts wieder aufgetaucht und ankern im Zentrum der Welt: An Steuerbord eine fast kahle Insel mit ein paar Schafen, vermutlich seit Jahrhunderten so. Am Backbord Schwedens größtes Kernkraftwerk. Mitten drin.
Monat: Juli 2016
Gewimmel und Gelumpe
Liebe Leser, mittlerweile ist der nordische Sommer nicht nur verspätet ausgebrochen. Er hat auch alles nachgeholt, was wir in den vergangenen Wochen vermisst haben. Sehr warm, viel Sonne, wenig Wind. Hell bis spät in die Nacht. Was zum Faulenzen und Baden gut ist. Beim Segeln fehlt ein bisschen der Wind. Und zum Hacken auf der Tastatur etwas die Lust. Deshalb dieses Mal ein Bericht über mehrere Tage.
Ruhiger Ankerplatz hinter Orust. Blick über das Wasser hinter uns: Da liegt eine Robbe auf dem Wasser. Auf, nicht im. Wie geht das? Das Tier ist echt, es bewegt sich. Kein Gummitier, anscheinend eine weibliche Kegelrobbe. Offenbar liegt sie auf einem Felsen oder Stein, der bis dicht unter die Wasseroberfläche reicht.
Blick auf Papierkarte und elektronische Karte: Der Stein ist eingezeichnet und wir hatten ihn in der Planung auch berücksichtigt. Der Schreck war nicht notwendig. Zeigt aber, wie oft man hier doch in die Karten schauen muss.
Was gibt es noch hinter Orust: Etliches an Chemischer Industrie, was die großen Schiffe erklärt, die einem ab und an begegnen. Und vereinzelt auch Wasserfahrzeuge, bei denen man den Begriff „Schiff“ eigentlich nicht benutzen will.
Immerhin beweist diese Schwimmteil, wie geschützt es in diesem Teil des Skageraks ist.
Wir haben uns, der Windrichtung wegen, für den Weg zwischen Orust und Tjörn entschieden, Stigfjorden. Das musste ich jetzt nachsehen. Die Vielzahl an Ortsnamen überfordert eindeutig mein Gedächnis, und mit der Eindeutigkeit der Namen ist es auch nicht weit her. Alle paar Meilen kommt zum Beispiel ein Bockholm oder Hestholm. Das Fahrwasser zwischen Orust und Tjörn ist sehr vielgestaltig, mit Inseln, Holmen und Schären, engen Passagen und auch wieder weiten Wasserflächen, und vergleichsweise wenig Verkehr. Zumindest für hiesige Verhältnisse. Große Schiffe gibt es hier nicht. Die Brücke zwischen Orust und Tjörn ist mit 24 Metern zwar vielleicht hoch genug, aber die Durchfahrt für die meisten Berufsschiffe zu schmal. Und es geht ja auch einfacher, weiter nördlich oder südlich.
Zwischen den Holmen und Schären haben wir uns wieder einen Ankerplatz für die Nacht gesucht. Unsere Etmale tendieren mal wieder zum Minimalismus.
Nächster Morgen: Wir müssen uns mit Diesel ver- und etwas anderes entsorgen. Mollösund liegt nur 1 1/2 Meilen von unserem Kurs entfernt und hat, wir waren ja schon mal da, die benötigte Infrastruktur. Leider wissen das alle, und entsprechend ist das Gedränge an der Tanke. Die Absaugstation funktioniert nicht und muss erst freigespült werden. Und noch ein bisschen mehr Chaos. Fast eineinhalb Stunden haben wir damit zugebracht – da zeigen sich die Schattenseiten eines so beliebten Reviers.
Immerhin, es gibt etwas Wind zum Segeln. Die günstigsten Strecken durch das Gewirr der Schären sind in den Seekarten vorgezeichnet. Damit vermeidet man, das unbedarfte in irgendwelchen Sackgassen oder an gefährlichen Stellen landen. Leider berücksichtigen diese Tracks naturgemäß nicht die aktuelle Windrichtung. Wir sind also vom Pfade der Tugend abgewichen, haben die Sportbootautobahn verlassen und uns, bei sehr ruhigem Wetter, unseren Weg durch die Außenschären selbst zurecht gelegt und durchsegelt. Natürlich auf der Kreuz. Dafür aber eine wahrnehmbare Strecke durchs Wasser zurückgelegt: 21 Meilen. In diesem Gebiet schon viel, für unsere Verhältnisse.
Spannend ist das schon, so durch das „Gewimmel und Gelumpe“ zu kreuzen. Bei der Rückkehr in den wohlgeordneten Bereich der vorgezeichneten Fahrwege konnten wir dann auch sehen, wie schlurige Navigation hier ausgehen kann.
Da uns nach zwei Ankernächten und drei duschlosen Tagen der Sinn nach Erfrischung stand, mußten wir einen Hafen anlaufen. Zur Auswahl standen Klädesholm, Astol, Dyrön Nord und Dyrön Süd. Wir finden, dass Dyron Süd der schönste davon ist – bei weniger strengen Maßstäben sind alle vier toll – und vermutlich nicht so voll. Nicht so voll war falsch, sehr voll. Vierter im Fünferpäckchen. Majestix war in Astol, auch sehr voll. Ist halt so, schwedischer Sommer, das ganze Land macht Urlaub. Verbleibende Resourcen werden von Norwegern belegt, manchmal auch von Deutschen.
Gewimmel-geschädigt, wie wir nach dieser Nacht nun mal waren, kam wieder eines unserer Minimal-Etmale zusammen: 9 Meilen. Zu einem der Holme südlich von Marstrand (Majestix ist heute in Marstrand, jetzt die mit Kleinkind).
Hier gibts Ringe am Fels. Hilft uns aber nicht viel, weil wir nur mühsam von Bord kommen würden, der Fels ist schräg und rutschig, und eine Leiter haben wir nicht. Den Heckanker müßte man erst zusammenbauen.
Wir haben uns für die einfachste Lösung entschieden: Wir liegen katholisch: Heckleine zum Ufer und Buganker. Im staatskirchlich-evangelischen Schweden zwar ungewöhnlich, aber was soll’s. Uns gefällt’s. Und bis jetzt haben wir noch keinen besseren Rundumblick über die Schärenlandschaft gefunden.