Thema des heutigen Abends: Die Schleuse

Der Göta-Kanal war das Großprojekt des 19. Jahrhunderts in Schweden. Mit Betonung auf ¨das¨. Ursprüngliche Ziele waren, den damals noch existierenden dänischen Sundzoll zu umgehen und Kriegsschiffe von der Ost- zur Westseite bringen zu können, und umgekehrt, ohne durch dänisches Gebiet zu müssen. Als Bauzeit waren 10 Jahre geplant. Geworden sind es dann 22, und die Kosten wurden um den Faktor 6 überschritten. Heute würde ein Großprojekt natürlich nicht so aus dem Rahmen laufen, oder ?
Wobei der Staat auch noch alles mit eigenem Personal gemacht hat. Der Kanal wurde von schwedischen Soldaten gegraben.
Mit den Mitteln, die damals zur Verfügung standen. Ohne Bagger und ähnliches Gerät. Und mit den Möglichkeiten, die man um 1800 hatte. Also viele kleine Schleusen statt weniger großer. Und die Trasse folgt, wo es möglich ist, den Höhenlinien. Man gräbt am Hang entlang einen Graben und schüttet den Aushub an der Talseite zu einem Damm auf – im Prinzip. Das spart Materialtransporte. Und die vielen Kurven, die sich so ergeben, machen heute den Reiz der Kanallandschaft mit aus.
Wir hatten heute 14 Schleusen, dabei zwei Doppelschleusen, also solche, bei denen das obere Tor der unteren Kammer auch das untere Tor der oberen ist.
Die Schleusen sind hier, besonders im Vergleich zum etwa gleich alten kaledonischen Kanal, eher knapp mit Personal ausgestattet. Wärend dort 3 bis 4 Personen an einer Schleuse arbeiten, ist es hier nur eine. Oder auch nur eine halbe Person, statistisch. In einem Teilabschnitte war es so, das 3 Schleusenmeister 6 Schleusen bedienen mussten. Das führt natürlich zu Wartezeiten. Und viel körperliche Hilfe kann man unter diesen Umständen vom Schleusenmeister oder der Meisterin auch nicht erwarten.
Aufwärts schleusen also am besten so: Vor der Schleuse kurz ans Ufer, eine Person steigt aus und nimmt die Enden der Leinen mit. Boot in die Kammer, Person an Land macht Leinen fest. Tür zu. Person an Bord hält Achterleine stramm, Person an Land Vorleine. Schleuse voll: Achterleine belegen, Motor an, langsam voraus. Vorleine zurück an Bord. Person an Land noch an Land. Person an Land löst Achterleine und steigt samt Tampen wieder ein. Abfahrt. Das mit dem ¨in die Achterleine dampfen¨ musste heute sein, da viel Wind. Einmal haben wir es nicht ordentlich gemacht und prompt lagen wir quer. Es ist leider nicht viel Platz in den Kammern um noch zu reagieren.
Immerhin haben wir mit dieser archaischen Art der Seefahrt zwar nur wenige Kilometer Strecke, dafür aber immerhin 33 Höhenmeter geschafft. Mit 14 Schleusen und zwei Seen.

Schleusen , im Hintergrund 3 weitere

Wie elegant die Schleusungen ausfallen, hängt auch vom Geschick und Einfühlungsvermögen der Schleusenmeister ab. Der von Söderköping hat mir jedenfalls bestätigt, dass man mit der Fernbedienung die Schütze auch teilweise und einzeln öffnen kann. Es muss nicht zugehen wie in der Waschmaschine. Bei manchen tut´s das aber. Andere schaffen es, den Strahl dahin zu lenken, wo keiner in der Kammer liegt.

Wie in der Waschmaschine

Liegen jetzt in Norsholm. Muss man aber nicht kennen. Selbst Wikipedia weiß nur zu berichten, das der Ort zu Norrköping gehört (aha), am Göta-Kanal (na klar), an der Bahn (hört man) und an der Autobahn liegt (sieht man) und keine oder so gut wie keine Arbeisplätze bietet (sieht man eigentlich auch).

Und zu den Kriegsschiffen, die über den Kanal verlegt werden sollten: Die haben den Kanal nie benutzt. Als der Kanal fertig war, waren die dafür schon viel zu groß. Dumm gelaufen.

Mittsommer ?

Nicht ausgelaufen wegen Starkwind. Das hatten wir länger nicht mehr und nun auf dem Kanal! Nachts und auch noch am Morgen war der Wind so heftig, vor allem so böig, das uns das bei unseren Überlegungen, wie wir den Tag gestalten wollten, durchaus beeinflusst hat. Heute ist ja Sommeranfang, alias Mittsommernacht. Ein Ereignis, das in Schweden gleich nach Weihnachten rangiert, oder auch davor, und richtig gefeiert wird. Also lautet der Beschluss, dass man ja nicht fahren muss. Man kann auch bequem mit dem Fahrrad nach Söderköping, die Stadt anschauen, Mittsommer-Atmosphäre mitbekommen und dann morgen weiterfahren. Bei dem Wind liefert man schon mal Hafenkino, muss ja nicht.
Mit den Klapprädern nach Söderköping hat dann, wegen des Windes, doch eine Stunde gedauert. Für sechs Kilometer. Recht bescheidener Schnitt also, und das meiste im ersten Gang.
Söderköping war mal, so im späten Mittelalter, eine bedeutende Stadt und auch ein bedeutender Hafen. Damals wurden dort Reichtage abgehalten und Könige gekrönt. Sagen die Schilder in Söderköping, das ¨Große Online-Lexikon¨ spricht von einem, und so genau wollten wir nicht nachforschen.
Jedenfalls ist Söderköping alt und darum auch nicht rechteckig. Was es von den meisten Städten, die wir bislang auf dieser Tour gesehen haben, belebend unterscheidet.
Durch die skandinavische Landhebung, also die Tatsache, dass die Halbinsel bis heute damit beschäftigt ist, sich vom Gewicht des Eisschildes zu erholen, hat Söderköping zuerst seinen Hafen und dann seine Bedeutung verloren und ist, sozusagen, in seiner Entwicklung etwas zurückgeblieben. Erst mit dem Bau des Göta-Kanals ist wohl wieder etwas Leben in die Stadt gekommen. Heute ist sie mit etwa 8000 Einwohneren immer noch klein, aber dank der vielen Kanaltouristen trotzdem recht bunt.

Söderköping, nicht rechtwinklig

Der Kanal ist heute die Hauptattraktion hier. Wobei das durchaus nicht nur ¨boat-people¨ sind, die hier stehen, sitzen oder rumlaufen und in die Schleuse gucken. Der Kanal hat hier etwas von einem Freizeitpark. In den ehemaligen Packhäusern haben sich Restaurangs, Cafes und Boutiken angesiedelt. Der Kanal läuft zwischen der Altstadt und einem Felsmassiv hindurch, von oben hat man einen guten Blick auf die Stadt. Und hier ist es so, dass die Stadt von innen besser aussieht als von oben. Wir hatten schon Städte, die von fern gut aussahen und sich dann als totlangweilig erwiesen haben.

Söderköping, Blick aus dem Rathausfenster

Und, um Eigenwerbung nicht verlegen, hat Söderköping die weltberühmteste Eisdiele von ganz Schweden. (So oder so ähnlich. Werbung schreckt ja vor nichts zurück, außer korrekter Nutzung des Superlativs) So berühmt, das wir die Schlange abschreckend, aber auch der Dokumentierung würdig fanden.

Schlange vor der berüüühmten Eisdiele

Von der Mittsommernacht haben wir hier nichts bemerkt. Entweder geht das im Touristenrummel unter, es sind alle in Gastronomie und Einzelhandel beschäftigt oder sie fahren nach Norrköping und feiern dort oder noch woanders. Wir sind jedenfalls ohne Mittsommererlebnis zurück nach Mem, haben im ¨Magasin¨ zu Abend gegessen – trotz der merkwürdigen Öffnungszeiten schwedischer Restaurangs – und fahren morgen weiter. Sehr weit wird´s nicht sein, denn nach Söderköping kommen viele Schleusen. Besser, wir kommen auf viele Schleusen zu.
Die detaillierte Karte des Kanals, die wir eigentlich kaufen wollten, haben wir immer noch nicht. Wollte ich eigentlich am Eingang des Kanals erwerben. Die Schleusenwärterin hatte sie auch, kann sie aber nicht verkaufen, weil das Internet nicht geht und sie Bargeld nicht annehmen darf. Sie hat uns nach Söderköping verwiesen. Dort haben wir aber keine gefunden.
Wer doch noch was zum urschwedischen Thema Mittsommer finden möchte, findet es, außer z.B. bei Wikipedia, auch hier: https://symartha.de/mittsommernacht