Einsiedler, Monster, Pferdeäppel

So schicki-micki ist die Insel doch eigentlich nicht, wie Sabine sagt. Sicher, es gibt so eine Art Hauptstraße mit ein paar ¨besseren¨ Geschäften und eine Konzertmuschel mit Kurorchester. Der Aussprache des auch ansagenden Dirigenten nach zu urteilen bömische Musikanten. Abseits davon und von einigen Strandlokalen, deren Preise die Aussicht durchaus berücksichtigen, aber doch eine normale ostfriesische Familienmitkindernurlaubsinsel.

Nachdem der Boothafen von Juist jahrelang eher problematisch war, der er ständig verlandetet und das Spülen und Baggern sehr unebene Bodenverhältnisse erzeugt hat, haben die Juiser jetzt einen Weg gefunden, des Problems Herr zu werden. Was einerseits die Nutzung des Hafens erleichtert, andererseits liegen jetzt hier etliche Monsteryachten, die sonst wohl nach Norderney gefahren werden. Und der früher freundliche Umgang der Yachties untereinander hat ist leider auch nicht mehr der gleiche. Vielleicht auch ein Corona-bedingtes Phänomen, das wieder verschwindet. Hoffen wir jedenfalls.

Die Hitzewelle hat ihren Höhepunkt wohl überschritten, zum Fahrradfahren oder ähnlichen fordernden Aktivitäten ist es uns aber immer noch zu warm. Also Strand. Davon gibt es hier wirklich viel, weil die Insel ja auch so lang ist. Parallel zum Strand viele Sandbänke und auf dem Strand diverse Salzwassertümpel mit besonderer Fauna: Nirgendwo sonst an unseren Küsten haben wir bislang so viele Einsiedlerkrebse gefunden.

Immobiliengeschäfte auf Juist?

Die brauchen offenbar besondere Umweltbedingungen, nämlich Schneckenhäuser. Und die zugehörigen Schnecken scheinen in den Tümpeln zu gedeien. Mit einem überschaubaren Maß an Geduld kann man dort sehen, wie die Krebschen mit ihren Schneckenhäusern hin und her laufen und die Behausungen ihrer Mitkrebse inspizieren. Was wir noch nicht gesehen haben, ist, dass sie dabei auch ihre Mobilie wechseln. Aber schauen kann man ja mal, als Einsiedler.

Die Sitte oder Unsitte des Sandburgen Bauens ist ja fast verschwunden. Aber offensichtlich gibt es immer noch Menschen, die sich in der vergängliche Kunst der Erstellung von Skulpturen aus nassem Sand üben.

Strandkunst, sehr vergänglich

Ach ja, Pferdeäppel: Das Pferd, kaltblütig und schwer, ist nach wie vor Markenzeichen des Juister Transportwesens. Und die Entsorgung dessen, was hinter raus kommt, läuft hier etwas schleppender als auf anderen Pferdeinseln. Man muss schon aufpassen, wo man hin tritt, wenn man den anderen Corona-Verdächtigen ausweicht.

Die Türme von Pilsum

Den an die Hitzewelle angepassten Tagesablauf haben wir beibehalten: Morgens mit dem Fahrrad die Gegend ansehen, nachmittags Schatten suchen und möglichst wenig bewegen. Am besten auf dem Achterdeck, da kommt immer etwas Wind hin und fast den ganzen Tag liegt es im Schatten der Sprayhood.
Vom Ort zur Leysiel-Schleuse, dann über den famosen Fehlfarben-Leuchtturm und das Dorf Pilsum wieder zurück.
Am Schleusengebäude hängt eine Tafel, die die Entstehung des heutigen Speicherbeckens inklusive Schleuse erklärt. Während wir uns mit der Historie beschäftigen, kommt der Schleusenwärter auf uns zu und erzählt uns noch einige Details mehr, die da so nicht drauf stehen. Und erzählt von Vorfällen, die da erst recht nicht drauf stehen (und die zum Schutze der Paddels, die sie verursacht haben, hier auch nicht weitergegeben werden).

Speicherbecken und Leybucht

Was weitergegeben werden darf und auch nicht auf der Tafel steht: Wär die Deichlinie nicht vorgezogen worden, hätte der Deich in Greetsiel um mindestens 2 m erhöht werden müssen und das ganze Ortsbild, das heute die Touristen hierher lockt, wäre verschwunden. Anderes Detail: Der Deich, der heute das Speicherbecken umschließt, ruht auf Abraum aus dem Ruhrgebiet. (Da können sisch ja einige janz heimisch fühln, woll? Miet Ommma!)
Am Ende der wasserbaulichen Erläuterungen (und nach Erwähnung der wassersportlichen Ambitionen des Schleusenmannes) wurden wir zu einem Besuch des Kontrollraums eingeladen.

Kontrollraum Leysiel-Schleuse

Und dort noch mit weiteren Informationen versorgt. Nochmals vielen Dank an den Schleusenmann!

Schleuse Leysiel (mit Boot des freundlichen Schleusenmeisters)

Weiter bei sommerlichster (kann man das steigern?) Wärme zum sehr populären Leuchtturm von Pilsum. Dem aus dem Otto-Film, gelb-rot, so wie´n Lolli. Das Gelb soll ja anzeigen, dass dieses Leuchtfeuer außer Funktion ist, und funktionlose Leuchttürme gibt es reichlich an der deutschen Nordsee, weil sich die Fahrwasser immer wieder ändern. Aber nur dieser hat den Otto-Adel. Kann sogar als standesamtliche Außenstelle zum Heiraten genutzt werden und zieht reichlich Besucher an.

Pilsumer Otto-Turm (ex Leuchtturm, Turm 1)

Sicherlich der bekannteste, aber nicht der interessanteste Turm von Pilsum. Pilsum ist ein schnuckeliges kleine Dorf mit ca. 500 Pilsumern, auf einer Warft und mit eine Kirche in der Mitte, die (siehe Marienhafe) in keinem Verhältnis zum Ort steht. Erbaut in 13 Jht. und beherrscht von einem multifunktionalen Vierungsturm: Kirchturm, Wehrturm, Seezeichen. Nur Glockenturm ist er nicht. Der steht extra. Vermutlich aus baustatischen Gründen: Wenn der Turm schon so schief steht, will man wohl keine pendelnden Glocken drin haben.

Pilsumer Vierungsturm (Turm 2)

Für die Glocken gibts noch einen Extraturm, siehe Bild oben, Turm 3.

Zu Zeiten, da die Leybucht bis Marienhafe reichte, lag auch Pilsum direkt am schiffbaren Wasser. Man musste sich also mit Piraten befassen: Entweder man verschanzte sich und bekämpfte sie oder man alliierte sich mit ihnen (und profiterte von den abgezweigten Warenströmen). Es gibt Gerüchte, dass auch die Pilsumer zur zweiten Lösung tendierten. Zumindest gab es bis ins 19 Jht. auffallend viele Kaufleute in dem eher kleinen Dorf.