Nordisch kühl

Gestern: Ausgedehntes Tief über Skandinavien.
Heute: Tief Karelien, Trog Öland
Wir sind mitten drin im Wettergeschehen. Wir haben kein vertrauenswürdiges Außenthermometer, aber die einschlägigen Apps sprachen von 8 bis 9 Grad für Vormittag bis nach Mittag. Sie sprachen von Regen. Und sie haben bei allem, wovon sie sprachen, die Wahrheit gesagt. Wir sind unter Deck geblieben, haben gelesen und gespielt. Ab und zu aus dem Fenster geschaut, ob andere Boote in die Schleuse sind. Auch nur ein paar ganz harte. Erst gegen 14 Uhr wurde der Regen schwächer und wir haben dann geschleust zum Viken. Die Schleuse ist, wie schon erwähnt, die älteste und die mit dem größten Hub am ganzen Kanal. Und direkt aus dem Fels gesprengt. Mit einem Felsklotz ist man damals wohl nicht fertig geworden. Jedenfalls steht der doch markant aus der Schleusenwand hervor. Was dem Schleusenden etwas Unbehagen bereiten kann, weil man sich nicht sicher ist, ob die Fender nicht gleich in den Klüften verschwinden. Genau den Platz haben wir dann auch bekommen. Ist aber alles gut gegangen, die Schleusenmeisternde hat das Wasser auch sehr rücksichtvoll einlaufen lassen und der Geschleuste konnte seine Fender stabil im gefährdeten Bereich halten.

Forsvik, die Problemschleuse

Die Frage weiterfahren oder erst das endgültige Ende des Regens abwarten wurde zu Gunsten des Weiterfahrens entschieden.
Mit der Schleuse von Forsvik sind wir jetzt im See Viken und damit so hoch wie noch nie, zumindest zu Schiff: 91.3 m über NHN. Vorausgesetzt die Höhenvermessung ist besser als die horizontale. Auf unseren elektronischen Karten sind wir mehrmals an der falschen Seite an Tonnen vorbei und über Felsen gefahren. Ich versichere hiermit: Es war nicht so. Es steht ja auf den Karten immer, dass die Vermessungsunterlagen teils älteren Datums sind. Hier, wo jeder Stein zählt, merkt man das auch.
Überhaupt Stein. Deren gibt es im Viken reichlich, und der Kanal ist teils durch diese Felsen und Steine geführt. Mit steinernen Dämmen, die ursprünglich vermutlich Treidelwege waren, heute nur noch malerische Hindernisse oder Leitdämme.

Ex-Treidelwege

Der See hat etwa die Form eines auf dem Kopf stehenden ¨V¨ und hat uns mit seinen Windverhältnissen überrascht. Auf dem nach NNW führenden Teil hatten wir Wind von vorn. Also nimmt man, arglos wie man ja ist, an, das man dann Richtung SSW Wind von hinten haben sollte. Weit gefehlt, auch dort kam der Wind von vorne. Erst ganz im Süden kam der Wind dann daher, wo er der Wetterlage nach eigentlich her zu kommen hatte: Aus West. Die Bodenreibung der schwedischen Wälder lenkt doch ganz erheblich ab, und der Wind folgt der Form des Sees und weht um die Ecke, sogar recht spitzwinklig. Ein ähnliches Phänomen haben wir schon auf dem Vättern beobachtet: In der Mitte des Sees Südwind, an beiden Ufern Westsüdwest. Kann man an unserem Track gut erkennen.

Winddrehungen am Vättern

Verlassen haben wir den Viken dann kurz bevor der Schleusenwärter Feierabend hatte. Schleuse klassisch: Holztore und Handbetrieb. Zur Entlastung des Schleusenwärters und natürlich, um mal zu sehen, wie schwer das geht, hab´ ich dann ein Schleusentor selbst geschlossen. Befund: Geht gar nicht so schwer. Nur das Ins-Laufen-Bringen zu Anfang braucht etwas Kraft, den Wasserwiderstand anschließend merkt man kaum. Beim zweiten Tor konnte ich nicht mehr kurbeln, hat sich sofort ein interessierter Passant gefunden.

Traditionsschleuse, handbedient

Das anschließende Kanalstück ist eng und malerisch. Es gehört zu denen, auf denen man den Ausflugsdampfern nicht begegnen und Abstand von den Bäumen halten soll. Mit dem Mast, unten ergibt es sich ja von selbst. An der nächsten Brücke war Schluss, die hatte schon Feierabend. Da liegen wir jetzt, direkt an einem Campingplatz, mit dem sich der Hafen die Infrastruktur teilt: Vassbacken. Ich glaube, zum ersten Mal auf dieser Tour im Päckchen. Zwei Plätze vor uns zwei Boote aus Grimsby.

Die Seemannschaft der See-Mannschaft

Immer noch Forsvik, jetzt ohne Sonntagstrubel. Die Schlange ohne Knoten war eine Ringelnatter (Natrix natrix natrix). Da sich kein Kundiger gemeldet hat, mussten wir das selbst herausfinden. Ringelnattern brauchen ein Habitat mit Wasser, Amphibien zum Fressen und Abwechslung, zum Sonnen, Verstecken und so weiter. Haben sie hier, genau wie wir.
Die Wetterfröschinnen und -frösche hatten für heute auch abwechslungsreiches Wetter vorhergesagt. So zwischen 5 Bft, in Böen 7 bis 15 m/s, was auch Bft 7 entspricht. Die Schweden geben die Windstärken in m/s an, was ja korrekt und SI-konform ist, dem nicht-schwedischen Seefahrer aber ungewohnt.
Der sehr böige Wind hat dazu geführt, dass beim Käpten die Lust auf´s Weiterfahren so im neutralen Bereich lag, bei der Dame des Schiffes eher im negativen. Und da es uns hier ganz gut gefällt, haben wir uns entschieden, noch einen Tag zu bleiben.
Das hat dazu geführt, das mein Wunsch, zu sehen, wie sich die Dampfer hier durch die Enge schieben, erfüllt wurde. Juno hat sich geschoben. Juno ist das angeblich älteste Fahrgastschiff weltweit. Durch kurze Suche im Netz habe ich Schiffe gefunden, die noch etwas älter sind und regelmäßig mit Fahrgästen verkehren. Die haben aber keine Kabinen, sind also nur Fahrgastschiffe zweiter Ordnung. Lassen wir also Juno den Ruhm, die älteste zu sein.
Nachdem sie sich seeehr vorsichtig durch den Zufahrtskanal geschoben hatte, wurde Juno mit Gesang und Beflaggung in der Schleuse begrüßt.

Begrüßung mit Flaggen und Gesang

Der Gesang war schwedisch, die Beflaggung einigermaßen international.
Nach dem Verlassen der Schleuse konnte der erstaunte Beobachter beobachten, dass die Besatzung nicht mehr vollständig war. Eine Seefahrende blieb an Land und ging dem Schiff voraus. Was die Neugier des Berichtenden weckte. Der wäre sowieso auch voraus gegangen, um ein paar Fotos von Juno aufzunehmen. Wie sie sich so im Schneckentempo durch den Kanal schiebt.

Durch den Kanal schieben, ..

Jetzt weiß ich: Der Schleusenkanal ist nicht das kniffligste, das schmale Ende kommt noch. Ein paar hundert Meter nach dem Ende des gegrabenen Kanals kommt eine Stelle, an der auf der Südseite der Treidelweg läuft und auf der Nordseite Felsen liegen.

Zu Zeiten der Treidelschifffahrt ging das gerade noch so. Ein Schiff mit Schraube steuert aber, indem das Heck zur Kurvenaußenseite geschwenkt wird. Propeller und Ruder sitzen nun mal hinten. Also braucht man in der Kurve mehr Breite. Die gibt es dort aber nicht, zumindest für Schiffe dieser Größe (Götmax ? 😉 ). Lösung: (1) Das Besatzungsmitglied an Land legt eine Vorspring auf einen Poller am Treidelpfad, der Dampfer fährt in die Spring, gibt dann Lose, die oder der Seefahrende an Land rennt mit der Leine zum nächsten Poller, weiter bei (1) bis man um die Kurve ist.

Vorspring legen, …
eindampfen, zurück zu (1)

 

Und dann muss der, die oder das Seefahrende wieder über eine Leiter an der Bordwand hoch.

zurück an Bord

Da das Verfahren offenbar schon seit 1874 funktioniert, gibt es wohl auch keinen Grund, es zu ändern und z.B. mit Bugstrahlern die Böschung zu lädieren. Das überlässt man den Freizeitskippern.
Den berichtenden bugstrahllosen Freizeitskipper hat das Verfahren durchaus beeindruckt. Und die Seemannschaft von Schiffsführung und Landmannschaft, äh, Landfrauschaft(?) auch.

Die Böen wackeln weiter am Schiff, und morgen soll´s auch noch kühl und regnerisch werden. ¨Ein ausgedehntes Tief über Skandinavien …¨