Barra 2015

Chieftains, Zechpreller und Piraten
Barra

Das Wetter wird zum beherrschenden Thema. Ist es ja beim Segeln sowieso, aber hier ganz besonders. Ein Zwischenhoch soll über uns hinweg ziehen und gut einen Tag lang Schwachwind bringen. Danach Süd bis Südost 5. Besser als die 7, die gestern noch vorhergesagt waren. Hier endet die Wettervorhersage, die die Coastguard überträgt. Windfinder sieht noch eine ganze Woche Südwind, viel Regen und herbstliche Temperaturen. Damit ist unser Weg nach Norden beendet. Mingulay fällt wahrscheinlich aus, und Harris auch.

Soviel zur Zukunft, jetzt zur nahen Vergangenheit. Haben heute Kisimul besucht und sind noch ein bisschen durch Castlebay gelaufen, das war schon alles. Kisimul ist die Burg, die Castlebay und der Castle Bay den Namen gegeben hat. Auf einer Insel in der Bucht gelegen, angeblich die einzige mittelalterliche Burg auf den äußeren Hebriden. Mittelalterlich ist auch so gerade mal richtig, das Wesentliche stammt aus dem 16. Jahrhundert, da war ja bei uns das Mittelalter schon fast zu Ende. Hier, am Nordwestrand Europas hat es wohl etwas länger gedauert.

Die Fähre nach Kisimul Castle
Die Fähre nach Kisimul Castle

Die Burg war der Sitz des für Bharraigh (heute schreiben wir’s mal Gälisch) “zuständigen” Clanchefs, oder Chieftains. Das Zusammenleben der Clans scheint ja, wenn man so die ganzen Mordgeschichten hört, die hier im Umlauf sind, nicht gerade friedfertig gewesen zu sein. Der beherrschende Clan hier auf den Hebriden sind wohl die “Lords of the Isles” gewesen, die hier ein nahezu selbständiges Imperium hatten. (Heute handelt die Sippe mit Hamburgern etc.) Sie pflegten, so war zu lesen, die anderen Chieftains hin und wieder auf Islay zu versammeln und einzunorden. Schon eine Änderung der Sitzordnung konnte dabei ein Anlaß zu Mord und Totschlag sein. Eine ordentliche Burg konnte da schon recht beruhigend wirken.

Auf Bharraigh/Barra hatten die Macneil of Bharraigh das Sagen. Und die Burg. Ob sie das Sagen noch haben, ist für uns Kurzzeitbesucher nicht erkennbar. Zumindest kommt der Name häufig vor. Die Burg haben sie wieder. Und nutzen sie auch, für Clan-Veranstaltungen.

Der gute Zustand von Kisimul geht allerdings auf einen in den USA reich gewordenen (oder gebliebenen?) Macneil zurück, der die Ruine zurückgekauft und restauriert hat. Seine Vorfahren mußten sie im 19. Jahrhundert verkaufen, was der Bausubstanz sehr geschadet hat: Sie wurde als Steinbruch zur Gewinnung von Ballaststeinen für Schiffe benutzt.

Kisimul Castle, Halle
Kisimul Castle, Halle, Versammlungssaal der Macneil-Oberen

Das Innere der Burg wirkt ganz anders, als das schroffe Äußere vermuten läßt. Auch wenn Teile der Gebäude in die Außenmauern und das Towerhouse reichen, und da ist es nasskalt, ungemütlich und teils recht finster. Auch die Höhe der Türen und Gänge entspricht nicht unbedingt aktuellen Bauvorschriften. Immerhin, für die Besucher hat man die übelsten Kopfknacker gepolstert und beschildert.

Kisimul Castel innen
Kisimul Castel innen

Bescheidenheit scheint keine Eigenschaft zu sein, die bei Clanchefs sehr ausgeprägt war. Einer der Macneil-of-Bharraigh-Chieftains soll von den Mauern Kisimuls nach dem Essen ausrufen lassen haben, dass der “Große Macneil of Bharraigh” gespeist habe und alle anderen Fürsten der Welt jetzt auch essen dürfen. Wobei Barra damals auch nicht größer war als heute. An einem Nachmittag kommt man mit dem Rad einmal rum, trotz beträchtlicher Höhenunterschiede.

 

Kisimul Castle
Kisimul Castle·, einmal um die Burg

Auf dem Rückweg fährt die kleine Fähre dann einmal um die Burg herum, so dass man sie auch von allen Seiten gesehen hat. Schön trocken, mit dem Schlauchi wär das doch eine etwas nassere Sache geworden. Im Anschluss haben wir noch einen kleinen Gang Richtung Vatersay gemacht, dann aber festgestellt, das es zu Fuß zu weit und mit den Rad zu windig ist. Also zurück ins “Zentrum”, einen Imbiss genommen, jeder einen Toasty und einen Kaffee. Abends hat mich Sabine gefragt, wieviel ich gezahlt hätte. Ups, nichts! Nochmal ins Schlauchi, wieder hin – das Lokal liegt direkt am Wasser, am Anleger der Kisimul-Fähre. Jetzt ist unser Gewissen wieder rein. Wir sind ja keine Zechpreller. Die Macneils auch nicht, die waren, zumindest zeitweise, Piraten. Was selbst hier und damals nicht unbedingt als ehrbares Handwerk galt. Ihre Schiffe übrigens, haben wir gelesen, waren eine Weiterentwicklung der nordischen Drachenboote. Auch einige der umliegenden kleineren Inseln tragen Namen, die aus dem Norwegischen stammen: Vatersay, Sanday, Eriscay …

“Macneil” ist kein Schreibfehler, die hier schreiben sich wirklich mit kleinem “n”. Zumindest manchmal.