Schwedische Toskana?

Der Wind ist immer noch kräfttiger als wir es gerne hätten und die Temperaturen passen nicht so recht zur Jahreszeit. Wir bleiben lieber noch einen Tag in Simrishamn.

Simrishamn ist die “größte und einzige” Stadt im Österlen, dem Gebiet östlich der Verbindungsstraße von Ystad nach Kristianstad. (Das mit “größter und einziger” steht so in Wikipedia. Auch wenn es keine Leistung ist, die größte zu sein, wenn man die einzige ist.) Die örtliche Fremdenverkehrswerbung spricht auch von “schwedischer Toskana”, was uns doch etwas vermessen erscheint. Dann wäre Simrishamn ja das schwedische Florenz.

Tatsächlich ist es eine Kleinstadt, die durch Fischerei geprägt worden ist, heute aber zum großen Teil vom Tourismus lebt. Viele kleine Häuser, die einen gepflegten Eindruck machen. Von der Fischereiflotte ist nicht viel übrig geblieben. Im Hafen lagen zwei Trawler, an beiden stand am Heck “Skillinge”. Das ist hier ein paar Dörfer weiter. Ein weiterer Wirtschaftszweig ist der Obstanbau. Ein drittel der in Schweden geernteten Äpfel stammt aus Simrishamn. (Die im Supermarkt kamen aus Polen.)
Offenbar arbeiten heute hier mehr Menschen in den Läden und Restaurants als in der Fischerei. Jedenfalls im Sommer.

Morgen soll sich der Wind etwas beruhigen und drehen. Wobei die Prognosen der Windrichtung etwas unübersichtlich sind. Nächstes Ziel heist Ystad, in der Hanöbucht kommt nicht mehr viel und wenn man um die Ecke ist, kommt vor Ystad kein weiterer Hafen.

Stalltrieb

Von Degerhamn nach Karlskrona unter Motor. Wind von Süden, Strecke zu weit zum Kreuzen. Langweilig. Karlskrona-Dragsö, großer Vereinshafen und viel schöner als der Stadthafen.

Karlskrona – Karlshamn auch unter Motor. Falsch geplant, man hätte später fahren und draußen vor den Schären segeln können. Also noch ein Tag unter Motor. Nicht ganz so langweilig, weil durch die Schären und teils auch nicht auf den empfohlenen Routen. Auf den Seekarten des Schärengürtels sind empfohlene Routen eingezeichnet, was auch ganz sinnvoll ist, weil man hier auch schnell den Überblick verlieren kann. Da sei nur an das russische Uboot vor Karlskrona erinnert.



Karlshamn – Kivik bei West 5 Bft. Wollten wir, ging aber nicht. Weil der Wind nicht so wollte, wie die Vorhersage es von ihm verlangte. Die Höhe für Kivik konnten wir nicht halten, so wurde es Simrishamn. Das ging in einem Schlag bis vor die Hafeneinfahrt. Gerade eben so, mehr Höhe wäre nicht drin gewesen.  Die letzte halbe Meile dann unter Motor, aber bei viel Wind in einen engen Hafen zu segeln ist ja auch nicht immer eine gute Idee.

Der Yachthaven von Simrishamn hat die positive Eigenschaft, genau da zu liegen, wo man ihn braucht, nämlich am Eingang der Hanö-Bucht und mehr oder weniger Bornholm gegenüber. Ansonsten hat er den gleichen Charm wie der Parkplatz von Aldi. Dafür ist der Ort ganz nett, siehe Bild oben.

Ganz unidyllisch

Mit konstanter Boshaftigkeit wehte der Wind aus Süden. Kurs ist ja die Richtung, in die man will und aus der der Wind kommt. Wir sind also nach Süden gekreuzt und haben dann am Nachmittag beschlossen, welchen Hafen wir anlaufen. Man hat im Kalmarsund, besonders im engen Teil, ja die Auswahl zwischen Festlandsküste und Öland. Es wurde dann wieder Kalmar. Färjestaden gegenüber waren wir zwar noch nie, aber erstens bestand Versorgungsbedarf und zweitens sieht Färjestaden im Hafenhandbuch auch nicht so aus, als ob man da unbedingt hin müsste.


Die letzten Meilen vor Kalmar haben sich dann etwas gezogen, weil nicht nur der Wind kräftig von vorn wehte, sondern ein beträchtlicher Strom nach Norden setzte. Das ganze in Bewegung gesetzte Wasser des doch recht großen Kalmarsundes muss ja durch das enge Loch vor Kalmar und unter der Brücke.   Auf der  Landkarte sieht das zwar nach einer weiten Wasserfläche aus, auf der Seekarte sieht man aber, dass dort auf großen Teilen die Möven zu Fuß gehen können, ohne am Bauch nass zu werden.

Das einzige Handelsschiff, das wir im Kalmarsund getroffen haben


Unter Motor genau gegen den Wind, da schaffen wir bei der Drehzahl normaler Weise 5 1/2 Konten, hier waren es nur 2 1/2. Das gleiche Gefühl, wie wenn man bei uns die Tide verpasst hat. 

Nach Versorgung und Übernachtung weiter nach Süden, mit der gleichen Taktik: erst nachmittags schauen, wie weit man kommt.

Es wurde Degerhamn. Da waren wir noch nie. Und das gilt vermutlich nicht nur für uns. Nach Degerhamn fährt kaum ein Yachti. Es sei denn, er hätte dort seinen Heimathafen, und das sind nicht viele. Aber jeder, der in dieser Gegend unterwegs ist, weiß, wo Degerhamn liegt: Da, wo das Zementwerk weithin sichtbar vor sich hinstaubt und qualmt. Dank der schönen Einrichtung der schwedischen Industrieferien – in der Urlaubszeit ruht alles – tat es das aber nicht, als wir dort waren.
Tatsächlich ist der Hafen von Degerhamn ein Industriehafen, der anscheinend nur für das Zementwerk da ist. Der Yachthafen, ausgewiesen mit dem blauen Gästehamn-Schild ist ein ganz kleiner Wurmfortsatz ganz am Ende. Wie klein er wirklich ist, haben wir aus dem Hafenhandbuch nicht so recht erkannt.

Innen ein paar Plätze an Auslegern, die von Einheimischen belegt sind. Außen Plätze mit Heckbojen für Gäste, die aber bei kräftigem Südwind nicht sehr verlockend sind,
Der Empfang war herzlich und der Service vollständig. (Strom, Klo, Dusche. Klubhausraum mit Küche wäre auch da gewesen.)
Ein wirklich niedlicher Hafen – wäre da nicht das Zementwerk.

Degerhamn gilt als das “industrielle Zentrum Ölands”. Da in Schweden ja Kalkstein in nennenswerten Mengen nur auf Gotland und Öland vorkommt – die bestehen fast nur daraus – ist man ja bemüht, beide Inseln durch die Öfen zu schieben. Kann aber noch ‘ne Weile weiter gehen, ist noch viel da.

Noch idyller

Die Hitzewelle hat nun auch Schweden erreicht. Solange man auf dem Wasser ist, stört das aber nicht.
Sandvik hatten wir als Tagesziel ausgesucht, weil es etwa die richtige Entfernung für die ungünstigen Windverthältnisse war – wir haben nach wie vor Südwind, und davon meist recht wenig, nur am Nachmittag legt es manchmal zu. Zudem wird von allen Quellen die Richtung vorausgesagt, aber selten die richtige Stärke. Das kann aber auch an den meteorologischen Besonderheiten des langen, schmalen Kalmar-Sundes liegen.
Sandvik soll ein paar Raukar haben. Stand zu lesen. War auch ein Grund, da mal hin zu fahren. Leider stand nicht drin, dass sie 18 Km vom Hafen entfernt stehen. Und 18 Km bei Sommerhitze über das fast baum- und schattenlose Alvar, und dann gegen den Wind wieder zurück? Kann man, muss man aber nicht.
So blieb es bei Sandvik: Entgegen dem Namen gibt es da viel Kalkstein, aber wenig Sand. Der Strand besteht aus Steinen, von denen der kleinste etwa faustgroß ist. Was bei uns kaum als Kies durchgehen würde. Dann gibt es noch eine flügellose Windmühle, jetzt Restaurant, die für sich in Anspruch nimmt, die größte Nordeuropas zu sein. Ein Holländer auf der Insel der tausend Bockmühlen.

Größte Nordeuropas?


Früher wurde der Kalkstein, der auf Öland gebrochen und verkauft wurde, in Sandvik aufbereitet. Reste ein Kalksteinschleif- und -poliermaschine sind noch zu sehen, samt Resten der dazu gehörigen Dampfmaschine. Ordentlich erklärtdurch ein Schild, wie es sich hierzulange gehört

Kalksteinpolierset Anno 1897

Nächster Tag: Noch einmal in die Schären: Pataholm. (Der zweite Vorsitzende wird wieder wissen, wo das ist, oder?)
Wenn Påskallavik schon Idyll war, hier ist es noch idyller. Der Hafen liegt weit vom Ort und ist winzig. Der Ort selbst hat im 19 Jhdt. eine kurze Blütezeit als Bad gehabt und ist dann so geblieben. Verschlafen, idyllisch, und ein paar Teile stehen unter Denkmalschutz.


Påskallavik die Zweite

Die Schweden haben die schöne Angewohnheit, alles, was ihnen zu einem Ort wissenswert erscheint, auf Schildern und Zetteln auszuhängen. So konnten wir noch etwas mehr zum Ort erfahren. 1688 hat hier, in der Einöde, jemand ein Gasthaus aufgemacht. Wo sich offenbar alsbald Fischer, Bauern, Holzfäller etc. eingefunden haben.

Kneipe (Nachfolgebau)

Was nicht nur der Geselligkeit, sondern auch dem lokalen Handel diente. Was wiederum einen Herrn Callerström/Kallerström motivierte, durch Errichten eines Lagerhauses mit zu verdienen. So entstanden hier im Laufe der Zeit ein Ort, ein Hafen und eine Straße, die Kneipe und Lagerhaus verbanden.

Der Hafen wurde zeitweise sogar von vergleichsweise großen Schiffen angelaufen, die ihn mit Kalmar, Vestervik und Öland verbanden. Das ist aber vorbei.

Lagerhaus

Wo ein Ort aus einer Kneipe entstanden ist, muss man sich natürlich Sorgen um das Seelenheit der Verirrten machen. Es gibt hier nicht nur eine schwedisch/lutherische Kirche, die Eifrigen kommen hier sogar mit dem Schiff her und versuchen, durch Gesänge (ganz ordentlicher Satzgesang), pastorale und/oder missionarische Worte (zum Glück für uns unverständlich) und seltsame körperliche Übungen in biblisch gemeinten Gewändern, incl. alttestamentarischen Kopftuch, die verirrten Schäfchen auf den rechten Weg zu führen. Und die kommen extra mit einem zweimastigen Segelschiff her, das für hiesige Verhältnisse eine beträchtliche Größe hat. (Woher haben die Verwirrten nur das Geld, das Ding zu betreiben?)

Missionsschiff

(Der Autor hält es mit Doug Adams: “Ich interessiere mich für alles, was mit Religion zu tun hat. Aber ich wundere mich, wie ansonsten normale Menschen das Zeug ernst nehmen können.)